Ohne Evangelium gibt es keine Diakonie. Ohne diakonía gibt es kein Evangelium.
Zusammen mit Kult, Gemeinschaft und Zeugenschaft/prophetischer Stimme ist Diakonie die wesenhafte Seinsart und Lebensform des christlichen Glaubens.
Nach dem Zeugnis des Evangeliums ist diakonía –tätige Nächstenliebe– die Sehnsucht danach, am Ewiggültigen, an Sinn und Fülle und an der letzten Freiheit des Lebens teilzu-haben: „Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe?“.
Tätige Nächstenliebe entsteht aus der vorbehaltlosen Wahrnehmung der Situation, die ich vorfinde, und aus der Bewegung, die die Wahrnehmung der Situation in mir auslöst: „... und als er ihn sah, jammerte es ihn“(beide Zitate aus: NT, Evangelium nach Lukas 10, 25-37).
Das Evangelium beschreibt tätige Nächstenliebe nicht als Haltung der restlosen Selbstauf-gabe, sondern in Kombination mit Selbstsorge, Delegation und kluger Verteilung von Verant-wortung und Ressourcen.
Und: Die Christushaltung, die die Gleichniserzählung vom barmherzigen Samaritaner bei-spielhaft auf den Punkt bringt (im Vierschritt Hinsehen–innere Beteiligung–Handeln–Verge-meinschaftung der vorgefundenen Not), diese Christushaltung ist nicht religiös Gleichgesinnten oder national/kulturell Zugehörigen vorbehalten: Zuallererst sind Andere, Fremde, Unberührbare, „Unwürdige“ das, was wir Christus nennen – Träger*innen der Wahr-heit.
So sind christlicher Glaube, christliche Theologie, christliches Leben m.E. ein Vorgang der Grenzüberschreitung und Ex-Zentrizität, der Diversität, Transkulturalität und Trans-zendenz: von der Mitte zum Rand, den Rand als Mitte im Fokus Gottes identifizierend.
Dieser Glaube entwirft und verspricht radikale Erlösungsfreiheit: die Freiheit zur Annahme meiner eigenen Gottebenbildlichkeit und gottunmittelbaren Identität, die Freiheit von Selbst- und Gottesentfremdung, vom Missverständnis, mein Selbst „incurvatus in me ipsum“ über Rolle, Macht, Leistung, Gewalt und das Erfüllen von Erwartung gewinnen zu können.
Diese Erlösungsfreiheit und Mitte des Lebens wird zugänglich, indem ich mit mir und der mir innewohnenden Göttlichkeit identisch bin – und zugleich aus mir heraustrete und vom Gegenüber und dessen*deren gleichwertiger Gottebenbildlichkeit her denke, empfinde und bin. Ich und Du, trianguliert in der Gottesgegenwart.
Dieser Text befasst sich mit der Entwicklung einer gut begründeten Haltung der Diakonie zum Thema Suizidbeihilfe. Nicht mit der ebenso wichtigen Frage nach einer zeitgemäßen Implementierung solcher Haltung in den Lebens- und Arbeitsalltag der Diakonie:
Wie etwa können christlich begründete Grundpositionen klar, aber nicht doktrinär, praxis-tauglich, mit hilfreicher Wirksamkeit ins Gespräch gebracht werden mit der Arbeitsrealität von Führungskräften, Personalverantwortlichen und einer religiös-weltanschaulich hochdiversen Mitarbeiter*innenschaft? Das zu entwerfen, wäre Aufgabe eines Folgetextes.