Die Ursache von Armut wird häufig in einem Zusammenhang mit einem Mangel an Bildung gesehen. Es ist sicher richtig, dass fehlende formale Bildungsabschlüsse, die Chancen verschlechtern einen Ausbildungsplatz und einen auskömmlich bezahlten Arbeitsplatz zu bekommen und damit die Armutsgefährdung verringern helfen. Sie sind aber keine Garantie zur Verhinderung von Armut, denn sie verbessern lediglich die Chancen, um den Wettbewerb auf einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz. Auch mit einem formal hoch bewerteten Abschluss, können Menschen in Formen atypischer Beschäftigung geraten, die ein höheres Armutsrisiko beinhalten.
Dennoch sind Anstrengungen zu einer verbesserten Bildungs- und Chancengerechtigkeit unerlässlich. Sie bilden einen Beitrag zum Schutz vor Armut. Bildung wird aber, ohne die gleichzeitige Veränderung von Verteilungsungerechtigkeiten, die Armut von jungen Menschen und ihren Familien nicht alleine verhindern können.
Bildung kann mit ein Weg aus Armut sein. Voraussetzung hierfür ist aber, dass junge Menschen aus einkommensarmen Familien in vollem Maße am Bildungssystem partizipieren können. Nach wie vor besteht aber in Deutschland eine hohe Abhängigkeit zwischen den Bildungschancen und der sozialen Herkunft. Der Bildungserfolg in Deutschland ist stärker als in vielen anderen Ländern vom Bildungsstand und vom Geldbeutel der Eltern abhängig. Junge Menschen aus unteren Sozialschichten erhalten bei gleicher Leistung häufig schlechtere Noten als andere und seltener eine Übergangsempfehlung auf dem Weg zum Abitur. Kinder aus privilegierteren Familien finden in Kindertageseinrichtungen und Schulen für sie leichter anschlussfähigere Settings. Soziale Disparitäten werden von der Kindertageseinrichtung über die Schule bis zur Berufsausbildung weitertransportiert und verstärken sich zunehmend.
Der 15. Kinder- und Jugendbericht beschreibt, dass mit dem Ausbau der Ganztagsschulen auch die Hoffnung verbunden wurde, sozialen Ausgrenzungsprozessen entgegenzuwirken. Soziale Benachteiligungen in unterrichtsbezogenen Lern- und Bildungsprozessen abzubauen, ist aber bisher umfassend noch nicht gelungen. Schulische Reproduktion sozialer Ungleichheit wird nicht automatisch dadurch gemindert, dass Schule ganztägig organisiert wird. Junge Menschen in schwierigen und benachteiligenden Lebens- und Bildungssituationen erleben in einem selektiven Bildungssystem sehr früh Ausgrenzung und Nichtanerkennung. Diese von der Schule abgewerteten und enttäuschten jungen Menschen suchen sich andere schulferne Unterstützungssysteme, um ihre Misserfolgs- und Versagenserfahrungen zu kompensieren. Bildung im Zusammenhang mit Armut muss bedeuten, Gelegenheiten zu erhalten Erfahrungen zu sammeln und Entscheidungen treffen zu können, Wissen zu erlangen, sich etwas zuzutrauen und ausprobieren zu dürfen und sein Leben gestalten zu können.
Frühkindliche Bildung in Kindertageseinrichtungen, der Ausbau von flächendeckenden Ganztagsschulen und das Übergangssystem von der Schule zum Beruf sind Teile einer Bildungskette, die eine lückenlose Unterstützung bis zur Einmündung in die Arbeitswelt sicherstellen sollen und damit auch Armut verhindern helfen sollen. Ein „lückenlos“ aufgestelltes Bildungssystem kann nicht verhindern, dass Lebenswege und Übergänge weiterhin mit Unsicherheiten und unvorhersehbaren Entwicklungen verbunden bleiben. Freiwillige und offene Unterstützungsangebote wie die Jugendsozialarbeit und die Familienförderung bleiben weiterhin bedeutsam und können nicht durch formalisierte Bildungsketten ersetzt werden.
Zentrale Herausforderungen bleiben:
- die Entkopplung von Bildungserfolg und sozialer Herkunft
- die Verringerung der sozialen Selektivität und
- die Durchlässigkeit des Bildungssystems.
Es reicht nicht die Zugänge zu Schulen und Kindertageseinrichtungen für alle jungen Menschen zu eröffnen, sondern gleichzeitig ist das Bildungsgeschehen innerhalb der Institutionen verstärkt in den Blick zu nehmen und weiter zu entwickeln. Dazu gehört auch die Anerkennung und Stärkung außerunterrichtlicher und außerschulischer Erfahrungs- und Bildungsmöglichkeiten für junge Menschen, wie sie z.B. die Jugendverbandsarbeit und die Offenen Kinder- und Jugendarbeit anbieten.