„Es ist nicht fünf nach zwölf, es ist ein Uhr!“ – mit diesem Satz beschrieb eine Besucherin der gestrigen Veranstaltung im Diakonischen Werk Hamburg die Situation in der Pflege. Mit dieser Meinung stand sie nicht allein. Wie rund 100 weitere Teilnehmende war sie der Einladung gefolgt, im Vorfeld der Hamburger Bürgerschaftswahlen Forderungen und aktuelle Brennpunkte in der Pflege zu diskutieren und Fragen an die Hamburger Politik zu stellen. Zu Gast waren Anna Leonhardi (Geschäftsführerin DEVAP), Dagmar Werner (Mitglied der Alzheimer Gesellschaft und pflegende Angehörige) sowie die Mitglieder der Hamburgischen Bürgerschaft und gesundheitspolitischen Sprecher*innen Claudia Loss (SPD), Linus Görg (Grüne), Stephan Gamm (CDU) und Deniz Celik (Die Linke). Moderiert wurde die Veranstaltung von dem Journalisten Jörn Straehler-Pohl.
Anna Leonhardi stellte gleich zu Beginn der Veranstaltung dar, an welchen Stellen aus bundesweiter Sicht Veränderungen notwendig sind. Das Strategiepapier „Trotzdem Pflege: Für jeden, zu jeder Zeit“ des Deutschen Evangelischen Verbands für Altenarbeit und Pflege (DEVAP) zeigt konkrete Lösungsansätze auf. Leonhardi betonte in ihrem Vortrag: „Die Versorgungssicherheit in der Langzeitpflege muss endlich wieder sichergestellt und der Rückbau der pflegerischen Infrastruktur gestoppt werden. Pflege gehört zu den BIG FIVE Herausforderungen unserer Zeit: 14 Mio. Menschen sind direkt und indirekt von Pflege betroffen. Gesamtgesellschaftlich müssen wir ehrlich die Frage beantworten: Welche pflegerische Versorgung wünschen wir uns und was ist uns diese Pflege wert? Ein leistungsfähiger Sozialstaat mit einer verlässlichen sozialen Infrastruktur, die allen zugänglich ist, gibt Menschen Halt und schafft Perspektiven.“ Daher fordere der DEVAP eine solidarisch ausfinanzierte, moderne, am Bedarf orientierte Pflege, und zwar möglichst bundeseinheitlich.
Dagmar Werner schilderte als Mitglied der Alzheimer Gesellschaft und pflegende Angehörige eindrucksvolle Erfahrungen aus dem jahrelangen Pflegealltag von Angehörigen zu pflegender Menschen. Werner machte deutlich, dass in Hamburg vor allem die Informationen über Hilfen und die Unterstützung für pflegende Angehörige verbessert werden müssten. Sie sendete deutliche Signale für eine Verbesserung der Situation und mehr Gehör und Sichtbarkeit an die Hamburger Politik.
Die Politiker*innen zeigten sich interessiert an den Lösungsansätzen aus dem Publikum, den Nöten sowie den unterschiedlichsten Themenfeldern in der Pflege. Diskutiert wurden die Übernahme von Pflegen und Wohnen, eine Reform der Fachkraftquote, die Schließung von Pflegeheimen, die Situation in der ambulanten Pflege sowie die notwendige Entbürokratisierung der Pflege.
Katrin Kell, Leitung Pflege und Senioren, Diakonisches Werk Hamburg: „Die zum Teil hitzigen Diskussion zeigen eindrücklich, unter welchem Druck die Beteiligten stehen und wie notwendig ein weiterer Austausch sowie entsprechende Veränderungen sind. Wir schauen mit Besorgnis auf die Situation der Pflege in Hamburg. Der jüngste Schritt des Hamburger Senats, mit Pflegen und Wohnen den bisher größten privaten Anbieter stationärer Pflege in Hamburg zurückzukaufen, ist ein wichtiges Signal und ein Beitrag zur Stützung der Versorgungssicherheit. Allerdings fragen wir uns, wie die Stadt jetzt eine weitere Kurzzeitpflegeeinrichtung betreiben will. Unsere Erfahrungen zeigen deutlich, dass dafür zu wenig Personal und keine auskömmliche Finanzierung zur Verfügung steht. Große Sorgen machen uns die stetig wachsenden Eigenanteile, die dazu führen, dass Pflegebedürftige Sozialhilfe beantragen müssen und in der ambulanten Pflege weniger Leistungen nachfragen als eigentlich erforderlich.“