Zwei Jahre nach Inkrafttreten (1. Februar 2018) der sogenannten Istanbul Konvention gibt es in der Umsetzung noch immer massiven Handlungsbedarf, z.B. in Hinblick auf familienrechtliche Entscheidungen. Die Diakonie Hamburg fordert daher, dass häusliche Gewalt bei Sorge- und Umgangsverfahren vorrangig berücksichtigt wird und der Staat seiner rechtlich bindenden Verpflichtung zum Opferschutz endlich nachkommt.
Die Istanbul-Konvention ist der erste völkerrechtliche Vertrag, mit dem umfassende und spezifische Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen sowie zum Schutz der Opfer formuliert wurden. Gemäß Artikel 31 dieser Konvention muss sichergestellt sein, dass gewalttätige Vorfälle bei Entscheidungen über das Besuchs- und Sorgerecht für Kinder berücksichtigt werden und dass die Ausübung des Besuchs- oder Sorgerechts nicht die Rechte und die Sicherheit der Mutter oder der Kinder gefährdet.
„In der Praxis sind wir davon weit entfernt“, weiß Stefanie Leich, Leiterin des Frauenhauses des Diakonischen Werkes. „Wir erleben, dass die Mütter von den Familiengerichten dazu verpflichtet werden, den Umgang der Kinder mit dem Vater schnell und selbstständig zu organisieren. Mit der Konsequenz, dass die Mütter dabei tätlich angegriffen, bedroht und beleidigt werden. Für Mütter und Kinder ist das eine untragbare Situation, die Kindeswohl und Gewaltschutz außer Acht lässt.“
Die Diakonie Hamburg fordert in Bezug auf sorge- und umgangsrechtliche Verfahren bei häuslicher Gewalt daher:
- Sonderzuständigkeit im Familiengericht
- Fortbildungsverpflichtung für Familienrichter/-innen zum Gewaltschutz
- Prüfung der Erziehungsfähigkeit der Väter
- Gefährdungsanalyse für den Umgang
- Sanktionierung von Verstößen gegen Umgangsregelungen
Hintergrund:
Mit dem Familienreformgesetz von 2009 hat die Gesetzgebung das Ziel verfolgt das Recht der Kinder auf Umgang mit beiden Elternteilen zu stärken und zu beschleunigen. Gleichzeitig war das Bestreben auf ein einvernehmliches und gütliches Miteinander der Eltern in Bezug auf ihre Kinder hinzuwirken. Damit ist die gemeinsame elterliche Sorge zum Regelfall geworden. In Bezug auf häusliche Gewalt ist diese Herangehensweise ungeeignet. Interfamiliäre Gewaltbeziehungen zeichnen sich durch eine Macht und Ohnmacht Konstellation aus, die eine einvernehmliche Erziehung und Umgangskontakte unmöglich macht. Von den Müttern wird erwartet, dass sie sich einvernehmlich mit dem Menschen um die gemeinsamen Kinder kümmern, der sie geschlagen, gedemütigt und/oder vergewaltigt hat. Das ist nicht nur eine Zumutung für die Mütter, sondern es lässt hoch risiko- und konfliktreiche Situation für die Mütter und Kinder entstehen. Dabei wird das Recht des Kindes auf Umgang überidealisiert und tritt vor anderen Bestandteilen des Kindeswohls in den Hintergrund, denn wir wissen heutzutage, dass eben diese hochkonfliktreichen Trennungen/Scheidungen schädlich für das Kindeswohl sind.
Die Diakonie Hamburg betreibt seit 27 Jahren ein Frauenhaus, in dem bis zu 30 Frauen und ihre Kinder Zuflucht finden können, wenn sie Unterstützung und Schutz vor bei häuslicher Gewalt benötigen.
Für Rückfragen steht Ihnen zur Verfügung:
Steffen Becker, Pressesprecher Diakonisches Werk Hamburg, unter 040 30620-233 oder becker@diakonie-hamburg.de
Dr. Korinna Heimann, Fachbereichsleitung Migrations- und Frauensozialarbeit, unter 040 30620-219 oder heimann@diakonie-hamburg.de
Stefanie Leich, Einrichtungsleitung Frauenhaus, unter 040 243445 oder leich@diakonie-hamburg.de